Mittwoch, 18. Juni 2008

Metropolenhopping: Besonders unbesonders

An jenem Punkt, der fuer viele den Beginn einer langen Reise darstellt, geht es fuer mich nun dem Ende zu. Ich zaehle die Tage bereits rueckwaerts, was meiner Reisementalitaet in jedem Falle nicht gut zusteht: Ich reise nur noch mit halbem Herzen, bin weder fasziniert, noch beeindruckt, noch ueberrascht von einer neuen grossen Stadt, die momentan im Fliessbandtempo an mir vorbeirauschen: Porto, Lissabon, Madrid; Zaragoza & Barcelona in spe.
Porto, die fuer mich erste grosse Stadt seit langer, langer Zeit fesselte mich doch noch am meisten, weshalb ich mich fast ein halbes Dutzend Tage dort aufhielt, mir die verwinkelten Gassen der Ribeira anschaute, beeindruckt war von der Doppelbruecke ueber den Rio Douro im Stile des Eiffelturms, und den Strand in Vila Nova de Gaia, sw von Porto, eingehend anschaute und benutzte, da auch dort campierte. Die 30-minuetigen Busfahrten von meinem Campingplatz in die Innenstadt, dabei auf einer der riesigen Bruecken den Douro kreuzend, werden sich mir auch einpraegen, da so gaenzlich verschieden von der deutschen Busfahrermentalitaet: Warum die Tueren schliessen, fragen sich wohl die portugiesischen Busfahrer? Wird doch viel zu stickig! Warum auf die Strasse achten? Warum Ampeln beachten? Warum waehrend der Fahrt nicht quatschen? Nun ja, Portugal ist eben easy-going, laessig schlendern die Menschen durch die Staedte, laessig und mit sehr viel Zeit telefonieren Angestellte in den Touri-Infos mit ihren Liebsten, bevor sie den Touristen Auskunft geben. "Yeah, you like the portugese mentality...as long as you don't live here", wagte es ein Halb-Portugiese (halb-US-Amerikaner) auszudruecken, als ich ihm von meinem Eindruck erzaehlte. Und er hatte so Recht: Ich entschied mich von Porto Richtung Sueden zu radeln, immer mit dem wunderschoenen Nordwind im Ruecken an grossartigen Sandstraenden und Buchten entlang nach Lissabon und machte einen 30Km-Abstecher auf eine Halbinsel, von der laut Schild am Anfang derselben eine Faehre auf die andere Seite uebersetzen sollte. Ich kam also dort an, fand ein verschlossenes Tor zum Kai vor und spaeter jenen Halb-Portugiesen, der mir sagte, die Faehre sei seit Januar ausser Betrieb, zu angeblichen "Wartungsarbeiten", woran er selbst nicht glaube. "Mmmh", meinte ich, "I'd have expected a sign that informs the people about the ferry which is out of order." Und er darauf: "They just don't care..." - Schlussendlich fuhr dann doch eine Art Ersatzboot, das mich mit auf die andere Seite nahm. Zum Glueck, auf 30 Km zurueck strampeln gegen den Wind hatte ich ja sogar keine Lust! Die easy-going Mentalitaet der Portugiesen zeigte sich auch noch spaeter: Siehe weiter unten.
Nach der Durchquerung der Halbinsel fuhr ich an diesem Tag weitere 60 Km, bis nach Figueira da Foz, campierte dort und erholte mich von den 120 Tageskilometern, die aber bei Weitem nicht so anstrengend waren, wie die Haelfte auf dem Camino - dank des immer herrschenden Rueckenwindes und der grossartig flachen Landschaft.
90 Km am naechsten Tag, diesmal etwas huegeliger, fuehrten mich bis nach Nazaré, einer bei Touristen sehr beliebten mittelgrossen Stadt an der Atlantikkueste. Beliebtestes Fotomotiv natuerlich die hoechste Steilkueste Portugals, genau deshalb und nur deshalb ist dieser Ort auch so ueberlaufen - wobei der schoene weitlaeufige Strand auch nicht ausser Acht gelassen werden darf.
Und am naechsten Tag dann schon fuhr ich zunaechst 30 Km, dann etwa 80 Km mit einem Zug, der vollkommen ungeeignet fuer Fahrraeder ist, stieg aus diesem 20 Km nord-oestlich von Lissabon aus, um mir nicht die Einfahrt in diese grosse Stadt nehmen zu lassen. Es ist immer wieder ein kleines Erlebnis fuer die Sinne, derer man sich unter vollster Konzentration bedienen muss, beim Einfahrt in eine Millionenstadt. Ganz ploetzlich werden die Strassen eng und viel befahren. Verrueckte Rollerfahrer kreuzen, Fussgaenger sprinten bei Rot ueber die Strasse, idiotische Halbstarke mit tiefer gelegten Karossen und "breiten Puschen" halten jeden Kreisverkehr fuer ein Karussel auf dem Rummel, Busfahrer halten sich fuer die Staerksten im Verkehr und fahren dementsprechend, Taxis achten auf gar nichts - und mittendrin ich. Ok, los geht's: T-Shirt wieder an, da ich mich Oben-Ohne in der Stadt irgendwie komisch fuehle, Sonnenbrille ab, und ab dafuer: Die Einfahrt nach Lissabon war also irgendwie aufregend. Etwa 10 Km fuhr ich in dichtem Verkehr bis ich irgendwie einen Weg zum Campingplatz gefunden habe, was nicht einfach war, da West-Lissabon nur aus Autobahnen zu bestehen scheint, die ich doch lieber meide. Jetzt, reichlich spaet, habe ich mir sogar angewoehnt vor Ampeln in einen niedrigen Gang zu schalten, was sogar sicherheitstechnisch relevant ist, weil man dann nicht so hin- und herwackelnd anfahren muss. Zwischendurch hatte ich Passagen immer wieder zu schieben, dann aber gemerkt, dass Fahren sicherer ist, weil ich dann insgesamt schlanker bin. Wie dem auch sei, ich habe den Berg Monsanto gekreuzt und dahinter den Campingplatz gefunden, den groessten, den ich je gesehen habe.
Ab dann verblieb ich fuenf Naechte auf diesem, schaute mir Lissabon immer wieder, aber wie gesagt - nur mit halbem Herzen - an, und versuchte nahezu krampfhaft eine Moeglichkeit zu finden Richtung Spanien, Osten - Madrid oder Barcelona - zu kommen. Und da entpuppte sich zum zweiten Mal die oben beschriebene portugiesische Mentalitaet als hinderlich: Weder in Touristenbueros, noch an Bahnschaltern, Busticketschaltern, an Computerterminals oder in Reisebueros bekam ich vernuenftige Auskuenfte ueber die Moeglichkeiten nach Madrid oder Barcelona zu kommen; das immerwaehrende Problem: Mein Radel. Fahrradfahren ist in Portugal, sowie auch in Spanien, erst im Kommen, was man daran sieht, dass kaum Fahrradstaender existieren und auch wenig Leute das Fahrrad als Verkehrsmittel benutzen. Als Sportgeraet wird es haeufig verwendet, aber eben nie in Staedten zu sehen. Nun gut, schlussendlich bekam ich die Auskunft, Fahrradmitnahme sei nur in einem einzigen Bus, der kurz nach Mitternacht in Madrid ankommt, und dann auch nur verpackt moeglich oder in Regionalzuegen, bei denen mir kein Mensch eine Auskunft darueber geben konnte, wie oft ich bis Madrid umsteigen muesste und wieviel das kosten wuerde. Beide Moeglichkeiten kamen fuer mich also eigentlich nicht, oder nur im aeussersten Notfall in Frage. Fluege waren so kurzfristig viel zu teuer. Verzweifelt sah ich also nur die einzige Moeglichkeit darin, privat nach Madrid mitgenommen zu werden. Ich fragte also alle moeglichen Camper auf dem riesigen Campingplatz, fand aber nur einen einzigen, der zum moeglichen Zeitraum in die richtige Richtung fuhr - leider entpuppte sich dieser Mensch als der groesste Idiot: "We have space in our caravan, we could take you with us, but: It's your problem, my dear. I have my own problems, we all have our problems and this is your problem, just your problem, you have to try to find a solution." - er nahm mich also nicht mit, wohl nur aus Prinzipgruenden. Auch Geld, das ich ihm angeboten hatte, konnte ihn nicht umstimmen. Ich wurde ziemlich sauer und zog genervt ab. Also auch diese Moeglichkeit gestrichen. Tja, was machste nun?, dachte ich und verbrachte zwei weitere Tage im gluehendheissen Lissabon um eine Moeglichkeit zu finden: Schlussendlich kaufte ich ein Bahnticket fuer den Nachtzug nach Madrid, weil der Mann am Bahnschalter meinte, er glaube, dass Faehrraeder mitgenommen werden koennten. Falls nicht, dann wird mir das der Schaffner schon sagen (super, um 21.30 Uhr mit eingepacktem Fahrrad und bereits bezahltem Ticket...) Auf die Idee, sich mal zu erkundigen, vielleicht zu telefonieren, ist er natuerlich nicht gekommen. Nun gut, mittlerweile schon genervt von den easy-going Portugiesen riskierte ich es also, demontierte Pedalen, Reifen, Sattel, stellte den Lenker schraeg und packte es unter Zuhilfenahme von Pappkartons ein. Und dann haette ich mir sehnlichst einen Reisepartner zum Transport meines Krams gewuenscht. Dreimal musste ich jeweils beim Ortswechseln latschen und musste immer einen Teil meines Gepaecks unbeaufsichtigt lassen, aber zum Glueck ist nichts geklaut worden. Naja, nun zum Ende der Geschichte: Bahnpersonal erklaerte mir, das Paket sei zu gross, ich koenne es nicht in den Nachtzug mitnehmen. Ich versuchte es trotzdem: Also rein in den Zug, Paket irgendwo hingestellt. Der Schaffner kommt, meint: "Not possible, not possible." - sonst nichts. Loesungen, Alternativen bekommt man hier nie geboten. Ich renne also durch den Zug und finde - zu meinem groessten Glueck - direkt um die naechste Ecke einen grossen Platz fuer Gepaeck, wo mein Rad gepasst hat. Puuuh. Der Schaffner war zufrieden damit. Endlich. Vollkommen fertig, durchgeschwitzt, verbrachte ich die Nacht im Zug und fuhr am naechsten Morgen gluecklich in Madrid ein, meinem Endziel Barcelona ein kleines Stueckchen naeher. Und was ich mir geschworen habe: Nie wieder, ausser zum Rueckflug, werde ich mein Rad einpacken. Dann nehme ich lieber 10x umsteigen in Regionalzuegen in Kauf.
Nach dieser Odysee bin ich also seit gestern Vormittag in Madrid und werde mich noch heute Nachmittag um meine Weiterfahrt nach Barcelona kuemmern; ich hoffe, es wird einfacher als in Lissabon. Von einigen Begegnungen mit beschraenkten Interrailern auf dem Campingplatz in Lissabon abgesehen bin ich seit mittlerweile fast zwei Wochen ohne irgendeine tiefgruendigere Begegnung geblieben. Gestern nur habe ich kurz hier in Madrid einen alleinreisenden Radler getroffen, mit dem ich mich allerdings schwer verstaendigen kann. Witzigerweise ist mir aber da wieder aufgefallen, was der skurillste Gedanke ist, der sich durch die ganze Tour zieht: Jedes Mal, wenn ich einen Alleinreisenden sehe, denke ich: "Oh, der/die Arme, das muss ja total oede sein allein zu reisen, der hat bestimmt keine Freunde.", und habe das Gefuehl mich um den kuemmern zu muessen. Habe sogar mal in Lissabon jemanden gefragt, wie man denn auf die Idee kaeme, alleine zu reisen...? In Anbetracht der Tatsache, dass ich seit fast 100 Tagen allein unterwegs bin, ist dieser Gedanke doch ziemlich komisch, oder? Ich frage mich immer woher er kommt: Merke ich gar nicht mehr, dass ich allein bin? Genuege ich mir einfach selbst? Werde ich langsam schizophren? Ich weiss nicht, aber komisch ist es allemal.
Was zusaetzlich sich noch durch die ganze Tour zieht sind Warnungen: vor den Dieben in Portugal und Spanien, dem Leitungswasser in allen Laendern suedlich von Frankreich, den tollwuetigen Hunden in Lissabon. Ich kann gar nichts von alledem auch nur ansatzweise bestaetigen: Ich habe weder aus dritter, noch aus zweiter und schon gar nicht aus erster Hand einen Diebstahl mitbekommen; ich trinke seit Hannover fast nur Leitungswasser und hatte kein einziges Problem damit, ich bin bisher nicht einmal auch nur ansatzweise krank gewesen (nicht mal Schnupfen hatte ich) und straeunende Hunde sind mir auch nicht zu Gesicht bekommen. Fuer mich ein Beweis dafuer, dass alles immer dramatisiert wird - Reisen ist gar nicht so gefaehrlich, wie es immer dargestellt wird - aber man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. 13 Tage habe ich ja noch...aber jetzt zum Ende meiner Tour werde ich auch immer vorsichtiger, weil ich nicht moechte, dass mir jetzt noch, kurz vor Schluss, etwas geklaut wird. Aber Leitungswasser trinke ich natuerlich weiter. Bin vermutlich gegen alle Arten von den boesen westeuropaeischen Leitungswasserbakterien resistent.

Ein lieber Gruss an euch, und damit Schluss. Flo

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Nicht mehr lange, dann ist der Erste Teil deiner Wanderscahft vorbei :)

Viel Spass beim letzten Atemzug deiner bisherigen Reise.

Bis in ein paar Tagen.

Gruß, Dominik