Sonntag, 18. Mai 2008

Buen Camino!

Wir schreiben den 18. Mai 2008 und befinden uns in Burgos, in der Provinz "La Rioja" in Spanien. Vor fuenf Tagen, in San Sebastian an der nordspanischen Atlantikkueste, 20 Km von der franzoesischen Grenze entfernt, habe ich entschieden, mein Reisekonzept zu ueberarbeiten und nunmehr per pedes, das Fahrrad mehr neben mir her schiebend und Zuege bevorzugend, mein viertes Reiseland, Spanien, zu erkunden.
Sei es drum, ein Tag Entspannung in San Sebastian, eine Unterhaltung mit einer deutschen Jakobswegfanatikerin und meine ploetzlich wieder unbaendige Lust den Esel zu satteln, fuehrten dazu, dass ich mittlerweile seit 250 Km wieder im Sattel sitze und den Camino de Santiago, den Pilgerweg schlechthin, Richtung Santiago de Compostela abfahre. Ich startete den Weg zum angeblichen Grab des Apostels Jakob in Pamplona, etwa 750 Km vor Santiago. Um nach Pamplona zu kommen, entschied ich mich, da sehr bergige 100Km vor mir gestanden haetten, den Zug von San Sebastian bis nach Pamplona zu nehmen. Eine richtige Entscheidung, die aber dem Fahrradfahren nur etwas nachstand, soll heissen: Spanische Vorortzuege, solche, die Fahrraeder mitnehmen, was selten ist, sind dennoch ueberhaupt nicht fuer Drahtesel geeignet. Eine 60cm-Tuer und drei Stufen aufwaerts musste ich das Fahrrad hieven, wobei mir Zelttasche und Schuhe unter den Zug auf die Gleise gefallen sind. In einer waghalsigen Aktion, die aber vom Schaffner offensichtlich als vollkommen in Ordnung empfunden und abgenickt wurde, kletterte ich unter den Zug, holte meinen Schuh, achtete aber darauf, die ganze Zeit Blickkontakt mit dem Lokfuehrer zu haben, der die Aktion von seinem Seitenfenster aus beobachtete. Er war mir wohl gesonnen, wartete geduldig und fuhr erst los als auch meine dann durchloecherte Wasserflasche den Weg in den Zug gefunden hatte. Mehrere Stunden spaeter, mit einem Zugwechsel an einem Bahnhof im Nirgendwo (es halten dort 3 Zuege taeglich), kam ich in Pamplona an, erschoepft und ausgelaugt vom Zugfahren (!), hatte aber noch mehrere Kilometer im Dauerregen bis zur Herberge zu fahren.


Dauerregen ist ein gutes Stichwort. Vor einer Woche etwa befand ich mich in Biarritz, campierte dort fuer zwei wunderbare Naechte im Garten einer bei Surfern beliebten Jugendherberge in Anglet (bei Biarritz), hatte den Tag Auszeit aber leider keine wirklich gute Moeglichkeit den wunderschoenen Strand zu besuchen, weil der Regen mir leider einen Strich durch die Rechnung machte. Dafuer waren die paar hundert Kilometer bis nach Biarritz, die ich durchgaengig auf wunderbar ausgebauten Fahrradwegen an der atlantischen Kueste von La Rochelle suedwaerts geradelt bin, von Sonnenschein gepraegt. Pausen fuer Fruehstueck, Brunch und After-Brunch (eine von mir zusaetzlich eingefuehrte Essensgelegenheit) konnte ich immer an einsamen, noch nicht von Touristen ueberlaufenen Straenden einlegen. Sowieso ist dieses Gebiet an der Atlantikkueste, angefangen von Soulac-sur-mer, das an der noerdlichsten Spitze der grossen Halbinsel bei Bordeaux liegt, bis nach Hendaye an der Grenze zu Spanien, mein bisher mit Abstand schoenstes Radelgebiet gewesen. Vor allem die Bordeaux'sche Halbinsel eignet sich HERVORRAGEND fuer Fahrradtouren, kann ich jedem nur weiterempfehlen. Mehrere hundert Kilometer top ausgebaute Fahrradwege, fast immer zweispurig, Campingplaetze én mass, Strandfeeling, blaues kristallklares Wasser mit Surferwellen und viele grosse Nadelwaldgebiete, einfach wunderschoen. Noch dazu gibt es eine sehr gute Fahrradbroschuere fuer diese Region, zu bekommen an jeder Touristeninformation. Ich war echt total begeistert. In diesem Freudentaumel traf ich in Lacanau-Ozean, einem unter Surfern und auch anderen Touristen sehr beliebten Ort am Meer, innerhalb von wenigen Minuten auf eine verwirrte, und frustrierte, aber urnette deutsche Jugendliche, die ein Praktikum in der Touristeninfo in Lacanau absolvierte und auf Flo & Sorina, die beiden grossartigen urspruenglich Hamburger und Oldenburger, die mit ihrem VW-Bus fuer wahrscheinlich mehrere Jahre durch Europa touren und vielleicht in Barcelona sesshaft werden wollen. Da fuer mich eine Nacht am Strand bevorstand, nahmen sie mich auf, ich aenderte spontan meine Plaene und blieb eine weitere Nacht in Lacanau. Ich konnte in ihrem Bus schlafen, den sie vor einem Campingplatz abgestellt hatten. Duschen und Klos waren entweder im Wald neben dem Bus oder auf dem Campingplatz zu finden. Sorina pinkelte in den Wald, ueberschwemmte den Bau einer Spezies von mutierten Riesenameisen und bekam dafuer von den suessen 1cm langen Ameisen die Quittung: Neun Ameisenbisse am Hintern, die in kurzer Zeit anschwollen und juckten. Meine Fenistil-Salbe, die Sorina zum grossflaechigen Einreiben ihres Hintern genutzt hat, konnte etwas Linderung verschaffen. Ich konnte ihre Pein wegen des Juckens nachvollziehen. Mein schrecklicher Rueckensonnenbrand fing in Blois, noch am Loire-Fluss, um 23Uhr abends an wie Hoelle zu jucken. Trotz der grandiosen Jugendherberge, in der ich mich da befand, konnte ich die ganze Nacht nicht schlafen. Es war schrecklich. Kalte Dusche half auch nicht. Sorinas Jucken endete zum Glueck noch am selben Abend. Flo und ich versuchten sie abzulenken, indem wir die Verwirrte von der Touri-Info besucht haben, von ihr vollkommen durcheinander gebracht wurden (wie das passiert ist, ist nicht in Worte zu fassen), in ihrer Herberge Klopapier geklaut haben und daraufhin vom Herbergsvater lautstark hinausgeworfen wurden. Sorinas Jucken war danach aber beendet. Erfolgreiche Heilung.

Der Tag in Lacanau war gepraegt von Sonne, Sonne, Sonne. Zum ersten Mal auf dieser Tour habe ich einen kompletten Tag am Strand eingelegt und deshalb schon wieder, trotz Sonnencreme, einen Sonnenbrand geerntet, diesmal an den Fuessen, die ja noch nicht vorgebraeunt waren. Fahrradfahren konnte das dennoch nicht verhindern: Trotz eines anstehenden Surfcontests am naechsten Tag, fuhr ich weiter zum bekannten Ort Arcachon und campierte suedlich davon am bisher schoensten und trotzdem guenstigsten Campingplatz an der hoechsten Sandduene Europas, der "Dune du Pilat". Ich erkletterte natuerlich die mehr als 100m hohe Duene und wurde vom Anblick dieser Duene, der Umgebung, des Meeres im Osten und des wie Regenwald aussehenden Gebietes Richtung Westen schlichtweg ueberwaeltigt. Das war einer der Momente, die mich immer wieder auf der Tour heimsuchen, in denen ich denke: "Waerst du doch jetzt bloss nicht allein, diesen Moment wuerde ich gerne mit jemandem teilen, die Moeglichkeit haben, mich mitzuteilen". Direkt an dieser Duene war mein Campingplatz, mein Zelt am Fusse dieses riesigen Sandberges, der mir ein Wuestenfeeling eingebracht hat. Ich verbrachte den Abend mitsamt Sonnenuntergang nahezu allein auf dieser Duene (die Tourizeit hat eben noch nicht begonnen) und genoss den Ausblick. Wahhhhnsinn!

(Bild rechts: Atlantik etwas suedlich von Biarritz)

Und weiter ging es, immer Richtung Sueden, immer Richtung spanische Grenze. Irgendwo zwischen Biarritz und Lacanau kommen mir ploetzlich zwei offensichtlich Fernradler, ein Paerchen, entgegen. Die ersten ihrer Gattung, die ich auf meiner Tour treffe, und das nach acht Wochen on the road. Sie stammen aus San Sebastian, sassen ihren fuenften Tag im Sattel von (und jetzt haltet euch fest!) einer eineinhalbjaehrigen Tour. Zunaechst wollen sie es ganz ruhig angehen lassen, locker durch Frankreich nach Frankfurt radeln - und dann nach Alaska fliegen, von dort aus suedwaerts die Panamericana runter nach Chile radeln, bis Weihnachten 2009. Und ich dachte, meine Tour sei schon nicht schlecht, aber das: Fast unschlagbar. Voellig euphorisch (hatten wohl noch keinerlei Probleme mit ihren Faehrraedern) baten sie mich ein Gruppenfoto machen zu duerfen, taten das und veroeffentlichten es. Wer also von mir das aktuellste Foto, sowie die beiden sehen moechte, gehe auf deren Blog (natuerlich haben sie auch einen Laptop dabei auf ihrer Tour....), scrolle runter zum "Sabado, 10 Mayo 2008" und finde dort ein Foto von mir mit den beiden. Klicken vergroessert, was aber nicht unbedingt sein muss. Hatte bereits viele Kilometer an diesem Tag hinter mir und deshalb eine merkwuerdig anmutende Loewenmaehne...trotzdem hier die Adresse: http://www.enbicialsur.com/ - das Hawaii-Hemd musste sein, weil alles andere nicht mehr anzuziehen war...

Und nun also, ueber die Stationen Biarritz und San Sebastian, befinde ich mich auf dem Jakobsweg. Ein paar Kilometer nach meinem Start in der mich umwerfenden Herberge in Pamplona traf ich auf den pensionierten belgischen Grundschulleiter Harry (61 Jahre alt, auf dem Bild neben mir zu sehen), mit dem ich bereits nach kurzer Zeit fast sowas wie eine Freundschaft aufbauen konnte. Vier Tage radelten wir ab dann zusammen, 65, 63, 80 und 61 Kilometer, ueber Stock und Stein, doch meist befestigten Wegen. Zum Teil war es sehr huegelig, fast schon bergig, Steigungen bis 10%. Der Harry nahm das zum Anlass, den niedrigsten Gang zu waehlen und mit 6 bis 7 Km/h die Steigungen zu bewaeltigen. Ich entschied mich meist dafuer, mein Fahrrad zu schieben, weil meine Uebersetzung nicht so gut ist wie seine. Nichtsdestotrotz war ich kaum langsamer. Der Harry, der den Camino in Antwerpen, Nordbelgien, gestartet hat und seit vielen, vielen Tagen ohne Pause geradelt ist, war dennoch immer noch topfit und motiviert. Ich hingegen brauche nach vier Tagen am Stueck radeln nun meine wohlverdiente Pause, die ich heute in Burgos, einer mittelgrossen Stadt, einlege. Wie Harry immer zu sagen pflegt: "Florian, take your time! Enjoy the camino. " - ich nehme eben auch das zum Anlass, mich zu rehabilitieren und den Harry wieder seiner eigenen Wege gehen zu lassen. Wir beiden haben es genossen, mal mehrere Tage nicht allein unterwegs zu sein, keine Angst ums Fahrrad beim Einkaufen zu haben, weil immer einer bei den Raedern bleiben zu kann, sich gegenseitig zu motivieren. Ich waere sehr gerne mit ihm weiter gefahren, aber es ist mir einfach zu hart. Ich brauche meine Pause. Zum Glueck haben wir gestern den Hans getroffen, einen Niederlaender aus Den Haag, mit dem Harry heute weiter gezogen ist. Ich fuer meinen Teil werde wohl morgen alleine weiterfahren. Harry hat mich stark inspiriert, immer wieder zum Denken angeregt und auch zum Lachen gebracht. Als wir in einem 80-Betten-Schlafsaal in Nájera untergebracht waren, dankte er seiner Bettnachbarin fuer die ockerfarbenen Ohropax, die sie ihm gab, mit den Worte: "You just gave me two pieces of gold." - irgendwie war das wahr, die schnarchenden Maenner trugen naemlich des Nachts einen Wettbewerb aus. Gespraeche ueber Erziehung, fuer die er natuerlich Spezialist ist, waren immer sehr spannend: "Florian, let's discuss about 'Fuehren oder wachsen lassen?'" - bei einer Flasche Wein, die hier bei jedem Abendessen inbegriffen ist, funktionierte das Diskutieren natuerlich umso besser ;) - mit dem Harry habe ich viele Erlebnisse teilen koennen: Er wartete geduldig, als ich meinen zweiten Platten am Vorderreifen flicken musste; ich wartete, als er versucht hat einem Schlagloch auszuweichen und dabei seitlich ueber den Lenker abgestiegen ist, zum Glueck hat er jahrelang Judo gemacht, und konnte sich deshalb elegant abrollen: "This was my judo reflex", sagte er, nachdem wir festgestellt hatten, dass das Resultat nur ein blauer Fleck am Knoechel und kleinere Schmerzen im rechten Arm war. "I was very lucky", pflegte er zu sagen. Seine Geschichten, die er stets nachts in den Pilgerherbergen beim Gang zur Toilette erlebt hat, waren auch immer wieder erheiternd: "I went to the toilet at midnight and there was an Italien guy sitting in the middle of the room in some kind of a yoga position. In front of him two red candles and he was praying. At three o'clock I went to the toilet again and he was still sitting there. That's crazy!" Das ganze spielte sich in meinem Raum ab, wovon ich aber nichts mitbekam. So war ich also heute ein bisschen traurig, als unsere Wege sich trennten. Ich werde heute noch so um die 5 bis 10 Kilometer fahren um zur naechsten Pilgerherberge zu kommen. In der Herberge, in der ich letzte Nacht geschlafen habe, darf ich nicht eine weitere Nacht bleiben, obwohl ich angeboten habe, auf meiner eigenen Isomatte auf dem Boden zu schlafen, aber der Verantwortliche schmiss mich wuetend raus...Zum Glueck gibt es hier auf dem Jakobsweg alle paar Kilometer Herbergen, die von 0 bis 5 Euro pro Nacht kosten. Und nun noch ein paar Worte zum Jakobsweg selbst und den Pilgerherbergen: Als ich in Pamplona in meiner ersten Herberge ankam, war ich vollkommen ueberwaeltigt. Ein riesiger Schlafsaal, hunderte von Ruecksaecken, Jakobsmuscheln und Wanderstoecken und viele, viele Menschen dort. Sowas hatte ich noch nicht erlebt bisher. Wunderbare Waschraeume und eine Kueche rundeten das Bild ab. Ich habe mehrere Stunden gebraucht um das ueberhaupt begreifen zu koennen, was ich da erlebe. Es aenderte sich dann schlagartig mein Tagesablauf: Aufstehen um etwa 6 (sonst bin ich meist zwischen 9 und 10 aufgestanden), Rausschmiss ist spaetestens um 8 Uhr, dann Radeln bis um 2 zu einer weiteren Herberge und den Nachmittag in voelliger Ruhe und Entspannung (so lange der Raum noch nicht ueberfuellt ist) verbringen. Ab 3 Uhr kommen die Fusspilger, meist ab 5 Uhr ist die Herberge voll. Und das ist das Schlechte an dem Jakobsweg: Es sind so viele Leute unterwegs (siehe Bild unten links...Pilgerautobahn), dass man um einen Platz in der naechsten Herberge kaempfen muss, sprich: Die Leute stehen immer frueher auf, manche gehen u, 5.30 Uhr morgens los um frueh genug an der naechsten Herberge zu sein, es ist kein entspanntes Gehen und Geniessen des Weges mehr, sondern mehr ein Wettbewerb - und woran liegt das? An den Deutschen! Ich schaetze, dass neben Japanern, Australiern, Kanadiern, Spaniern, Franzosen und so weiter allein die Deutschen mehr als 50% (einige Pilger meinen mehr als 70%) der Pilger ausmachen. Es ist enorm, fast nicht zu glauben, ich fuehle mich oft wie in Deutschland, weil um mich herum fast nur deutsch gesprochen wird. Und was ist der Ausloeser? Hape Kerkelings Buch. Fragt man die deutschen Pilger, so haben sie alle das Buch gelesen, aber niemand will deshalb sich auf den Weg gemacht haben, keiner gibt es zu. Alle sagen sie: "Die Idee hatte ich aber schon bevor das Buch herausgekommen ist"...dazu sag ich nur: "Jaja...". Tja, das Pilgern auf dem Hauptweg hat etwas Touristisches, Kommerzielles bekommen. Geschaeftsmaenner, reiche Menschen, gehen in Deutschland zum ersten Mal in einen Outdoor-Shop, kaufen das Teuerste, was es gibt, und machen sich dann auf den Jakobsweg, deren erster Urlaub dieser Art. Hoert man meine Kritik? Was solls, zumindest tun sie etwas, zumindest begeben sie sich mal raus und erleben ein Stueck weit ein Abenteuer, und ganz nebenbei: Die guten Menschen vergessen immer wieder ihre Ausruestung in den Herbergen, was mir bereits ein ultragutes Mikrofaser-Superabsorb-Handtuch mit Mini-Packmass und einen Spanischuebersetzer eingebracht hat. Ich denke, am Ende des Camino werde ich meine kompletten Klamotten einmal ausgetauscht haben, in jeder Herbergen gibt es Massen an neuem Kram. So, ich spreche abwertend, aber nichtsdestotrotz empfehle ich (ganz ernsthaft) diesen Jakobsweg weiter an alle Leute, die sowohl Abenteuer als auch ein Stueck weit Sicherheit suchen. Entlang des Weges gibt es naemlich Massen an Unterkuenften (von kostenlos bis 5-Sterne-Hotels ist alles dabei), es gibt viele Shops zum Essenkaufen und bei Unfaellen kann man sicher sein, dass in den naechsten 2 Minuten der naechste Pilger mit nem Handy vorbeikommt. Der Rettungsdienst kennt den Weg natuerlich in- und auswendig. Also Leute: Ihr wollt Sicherheit, Abenteuer, koerperliche Anstrengungen bis zur voelligen Erschoepfung, aber auch schoene Entspannungsphasen? Geht den Camino de Santiago! Von St. Jean-Pied-de-Port in Frankreich bis nach Santiago in Westspanien sind es etwa 950 Km, was 5 bis 6 Wochen zu Fuss dauert. Es ist sicher ein echtes persoenliches spannendes Erlebnis!

So, das dazu.

Und jetzt noch kurz zu meinen Zukunftsplaenen: Ich habe mich jetzt endgueltig entschieden, die Tour Anfang Juli aus verschiedenen Gruenden zu unterbrechen und von Barcelona aus nach Bremen zu fliegen. Ich weiss leider noch ueberhaupt nicht, wie mein Weg nach Barcelona aussieht, moechte aber mindestens die letzte Woche in dieser Stadt, die mir immer wieder empfohlen wird, verbringen.

In Deutschland versuche ich dann viel zu arbeiten, mir Geld fuer die naechste Tour anzusparen und mich dann in andere Gebiete dieser Welt zu wagen, als ewiger Wanderer.

Falls jemand von euch jemanden (Firma, Verein, etc.) kennt, der gerne eine Homepage haette, ich stehe nach meiner Rueckkehr fuer jegliche Webdesign-Projekte zur Verfuegung.

Soo, jetzt ganz liebe Gruesse, bis zum naechsten Eintrag, euer Flo

Sonntag, 4. Mai 2008

Klack, Klack, Klack, Klack, Klack - und Paris

Es viel Zeit vergangen seit dem letzten Eintrag, den ich mir eben nochmal durchgelesen habe und feststellen musste, dass er unheimlich partizipienlastig ist. Der Grund dafuer liegt wahrscheinlich in der partizienliebenden Schreibweise von Guenter Grass, dessen Buch ich die letzten Wochen gelesen habe und auch darin, dass ich hier fast nur Englisch spreche und diese Sprache Partizipien auch viel haeufiger gebraucht als die Deutsche.

Wie auch immer, ich werde versuchen mich zu bessern und einfach mal in simpler strukturierten Saetzen zu schreiben:

La Rochelle - so heisst der Ort, in dem ich mich bereits jetzt befinde. Gestern habe ich mein 50-taegiges Jubilaeum mit 148 Radelkilometern von Thouars ueber Parthenay und Niort nach La Rochelle gefeiert und bin deshalb viel schneller als erwartet am atlantischen Ozean angekommen. Am Tag zuvor habe ich bereits 113 Kilometer von Tours nach Thouars (ja, das sind zwei unterschiedliche Staedte!) zurueckgelegt und dachte, diesen Rekord koenne ich kaum noch ueberbieten. Tja, der Wind stand aber guenstig, das Land war meist flach und die Sonne schien mir ins Gesicht. Unter diesen Bedingungen kann man durchaus knapp 9 Stunden im Sattel sitzen und knapp 150 Kilometer zuruecklegen. Dazu kommt noch, dass mir 15 Kilometer vor Orlèans, mitten im Wald unter lautem Klack, Klack, Klack, Klack, Klack 5 Speichen gebrochen sind, natuerlich vom Hinterrad. Was also laut anderen Fernradlern jedem Fernradler mal passiert, ist also auch mir passiert. Ich musste die restliche Strecke schiebend zuruecklegen und habe mir in Orlèans einen neuen Hinterreifen gekauft. Zwei Tage spaeter, in Thours, ist mir dann auch noch der (zu diesem Zeitpunkt noch alte) Mantel geplatzt und hat den Schlauch mit in den Tod gerissen. Dies bedeutete fuer mich, dass ich zu einer Verabredung nicht rechtzeitig kommen konnte und daher die Maaike, einer hollaendischen Grundschullehrerin, die das jetzt hoffentlich liest und versteht, leider nicht mehr angetroffen habe. Der Fahrradladen war noch auf, ich habe mir in Rekordzeit neuen Mantel und Schlauch gekauft, durfte in die Werkstatt und alles selbst auswechseln, bin dennoch 20 Minuten zu spaet gekommen und Maaike war nicht mehr da. Da der Mantel nicht richtig sass und der naechste Tag der tolle 1. Mai war, musste ich einen ungeplanten Tag Auszeit in Tours nehmen und konnte mit wieder neuem Mantel erst am 2. Mai weiter radeln und von da an funktionierte alles super.

Ein wenig Sorgen mache ich mir momentan um meinen Gesundheitszustand; mir ist gestern kurz vorm Duschen aufgefallen, dass ich betraechtlich abgenommen habe, was ich auf die meist eher schlechte Ernaehrungslage zurueckfuehre. Es ist nicht so, dass ich wenig esse, aber ich esse sehr eintoenig. Nehme mir fuer die naechsten Tagen vor, reichhaltigere Kost zu mir zu nehmen, obwohl die Zubereitung von Mahlzeiten in meinem Kocher, die aus zwei oder gar drei Komponenten bestehen, immer mit enormen Aufwand verbunden ist. Aber es muss wohl sein. Des Weiteren sind mein Ring- und kleiner Finger der rechten Hand seit der Monsteretappe von gestern bis jetzt gefuehllos. Ich kenne das mittlerweile, dass mir nach 50 Kilometern die Finger einschlafen, aber bisher sind sie immer wieder aufgewacht. Hoffe, dass ich keine groesseren Durchblutungsstoerungen habe; naja, ein paar Tage schaue ich mir das noch an.

Mein schrecklicher Sonnenbrand am Ruecken von vor einer Woche ist mittlerweile abgeheilt; er hat mir schlaflose Naechte bereitet. Und dann gibt es nur noch ueber mein rechtes Knie zu meckern, das seit einigen Tagen knirscht...aber sonst geht's mir gut ;-)

So, morgen geht es trotz alledem weiter nach Sueden an der Kueste entlang. Ich werde dann morgen Abend oder uebermorgen mit der Faehre das kurze Stueck auf die Halbinsel Medoc (oder so aehnlich) noerdlich von Bordeaux uebersetzen und am Tag darauf das restliche Stueck nach Bordeaux radeln. Endlich habe ich das Gefuehl, mal echt voranzukommen. Das Wetter momentan fuehrt zu starkem Sonnencreme-Verschleiss. Stuendliches Eincremen mit LSF 20 gestern hat verhindert, dass ich, trotz 9 Stunden in der Sonne, einen Sonnenbrand bekommen habe. Und wer sich fragt, worueber man beim Radeln so nachdenkt: Unter anderem darueber, wie eigentlich Sonnencreme funktioniert und ob es theoretisch auch moeglich waere, Sonnencreme mit LSF 1000 zu entwickeln, so dass man sich direkt in ein Feuer stellen kann ohne verbrannt zu werden? Mh, sind vielleicht irgendwelche Sonnencremeentwickler unter euch?

Sooo, und jetzt beginne ich mit dem, wovon eigentlich dieser Eintrag handeln sollte. Ich habe mir naemlich vorgenommen, weil noch so wenig ueber Paris geschrieben, einen moeglichst repraesentativen Tag auszuwaehlen und euch zu beschreiben, was alles passiert ist. Also:


Freitag, 25. April 2008 - ein Tag in Paris

Ich wache frueh auf in Ralfs Studentenbude in Orsay, etwa 20 Km suedlich von Paris. Meine Seifenloesung ist bereits am Vortag angesetzt worden und bedarf jetzt nur noch einiger Liter Wasser, die ich ihr spendiere. Mein Fruehstueck besteht aus pappigen Baguette vom Vortag und darauf liegenden kuenstlich schmeckenden Salamischeiben sowie geriebenem Emmentaler. Die Pariser Vorstadtbahn, RER, bringt mich nach Paris. Station "St-Michel / Notre Dame" ist die Station meiner Wahl, ich steige aus, kaempfe mich durch eine Station, die von der Groesse her dem hannoverschen Kroepcke aehnelt, schleppe den Seifeneimer ueber zwei Ebenen und komme dann am Platz meiner Wahl vor Notre Dame an. Es ist ein wenig windig, ich bin recht unmotiviert, lasse das Equipment salopp vor mir stehen. Ein paar bosnische Sinti-Frauen mit weiten Roecken kommen, sagen "Give money!"; ich kenne sie aber schon von den vorherigen Tagen, bleibe ruhig und biete ihnen statt Geld Spass an. Sie nehmen also meine Stoecke und machen Seifenblasen, wenn auch nur viele viele kleine, aber sie sind begeistert. Es macht ihnen unheimlich viel Spass. Nach einer Weile wird es mir aber zuviel, sie werden unhoeflich und bedraengen Passanten. Da ich mit diesem Verhalten nicht in Verbindung gebracht werden moechte, bitte ich sie zu gehen und mir ein wenig Platz einzuraeumen. Sie betteln mich wieder um Geld an und gehen dann.

Im gleichen Zuge wie sie gehen kommt eine riesige Gruppe Kinder im Kindergartenalter und umringt mich; deren Erzieher schaetzt die Situation sofort richtig ein und handelt sehr weise: Er zieht mit seinem Schuh einen Kreis um meinen Eimer, Radius 3m und erklaert den Kindern, dass sie hinter der Linie bleiben sollen und dort aber die Blasen zerstoeren koennen, was uebrigens merkwuerdigerweise das Beduerfnis eines jeden Kindes ohne Ausnahme ist. Die Linie funktioniert nur teilweise. Nach ein paar Minuten vergessen die Kids sie und stuermen auf meinen Eimer zu, was dazu fuehrt, dass ich keine Blase mehr hinkriege, weil sie bereits im Entstehungsprozess zerstoert wird. Aber zumindest haben die Kinder Spass. Die Idee mit der Linie nutze ich auch spaeter noch, es funktioniert immer nur teilweise, vermutlich auch, weil mein Franzoesisch nicht ausreicht, um den Kindern klarzumachen, was die Linie bedeutet!

Und nun kommen die Frauen mit den Roecken wieder. Sie tun so, als ob sie zu mir gehoerten, gehen zu den Zuschauern und schnauzen sie in unhoeflichster Art und Weise an: "Speak English? Give money! Money!". Ich versuche ihr klarzumachen, dass ich das nicht moechte, da rennt sie zu meinem Sammelbehaelter und nimmt zwei Euro raus. Ums Geld war es mir nicht schade, aber 1. verbietet jeder Ehrenkodex Geld von Strassenkuenstlern zu stehlen und 2. ist das einfach nur total unverschaemt. Ich laufe also hinter ihr her, bleibe in ihrem Jargon, damit sie mich versteht und rufe laut: "Give my money back! It's my money!". Sie lacht mich zunaechst aus, faengt dann an in einer mir unbekannten Sprache zu schreien und fuchtelt wild gestikulierend mit den Armen. Ich bleibe bei meinem Vorhaben und bekomme am Ende von ihr einen US-Dollar in die Hand gedrueckt, weiss der Teufel wieso. Wer jetzt denkt, ich fuehle mich schlecht, weil ich evtl. eine Obdachlose um einen US-Dollar aermer gemacht habe, der irrt. Sie war absolut unhoeflich, gemein und eine Diebin.

Nach diesem aufregenden Erlebnis, der den gesamten Platz vor Notre Dame in Aufruhr versetzt hat, wasche ich zunaechst mein Equipment und begebe mich dann zur Post, um das Paket, das mir meine Eltern geschickt haben, abzuholen. Inhalt: Hauptsaechlich neue Zeltstangen und Esskram. Ich rufe Mutter an und bedanke mich bei ihr. Es hat mir echt Freude gemacht.

Bei wunderschoenem Wetter setze ich mich daraufhin vors Centre Pompidou, das mittlerweile wegen der vielen gemuetlich am Boden sitzenden jungen Leuten und der Strassenartisten zu meinem Lieblingsplatz geworden ist. Ich hoere einem Gitarre spielenden Asiaten zu, der eine tolle Ausstrahlung hat und belohne ihn reichlich fuer sein Spiel. Da ich meinen Pullover und meine Muetze nicht mehr benoetige, schenke ich beides einer (anstaendigen) bettelnden Obdachlosen und schenke ihr noch einen Muesliriegel, der mit in dem Paket war, und esse ihn zusammen mit ihr.

Beim Anmischen einer neuen Seifenblasenmischung lerne ich zwei Belgierinnen aus Bruessel kennen, die auf Klassenfahrt in Paris sind, aber bereits eine Stunde spaeter wieder abreisen. Die Stunde nutze ich fuer Besorgungen, waehrend die beiden auf meinen Kram aufpassen.

Eine weitere Unterhaltung, diesmal mit einer in Frankreich lebenden US-Amerikanerin und ihrem Freund, zeigt mir, wie wenig Tage man braucht um Athen, Venedig, Paris und London zu sehen: naemlich 8. Die beiden machen diesen Trip tatsaechlich in 8 Tagen, natuerlich mit dem Flugzeug, auch wenn ich selbst das fuer utopisch halte.

Es ist bereits 17.30 Uhr und es beginnt mal wieder - wie schon die Tage zuvor - eine Tibet-Demonstration am Centre Pompidou. Ich binde mir also die bunte Flagge um und begebe mich zu der Demo-Gesellschaft, die zum groessten Teil aus Exiltibetern besteht, die in Frankreich leben, derer es etwa 500 in ganz Frankreich gibt, so erzaehlt man mir. Etwas nach mir kommen auch Lobsang ("you can also call me 'lovesong'") und Celia, die ich beide ein paar Tage zuvor kennen gelernt habe. Lobsang ist ein Exiltibeter, der bereits in Indien im Exil geboren ist und vor fuenf Jahren nach Frankreich gezogen ist. Er bringt mir die Begruessungsformel auf Tibetisch bei: "Tashi Deleck". Celia ist 21, eine fuer Tibet kaempfende Franzoesin, da sie selbst schon in Tibet gewesen ist, denke ich, weiss sie sehr genau, warum sie sich jeden Tag 4 Stunden in Paris auf die Strasse stellt und fuer Tibet kaempft. Dabei ist sie angehende Krankenschwester und arbeitet im Krankenhaus 8 Stunden taeglich. Das nenne ich Einsatz! Leider ist ihr Englisch nicht ganz so gut, sodass uns bald die Gespraechsthemen ausgehen. Lobsangs Englisch dafuer ist hervorragend, was daran liegt, dass die Sprache in tibetischen Schulen in Indien Englisch ist, wobei natuerlich auch Tibetisch gelehrt wird. Am Ende schenke ich Celia noch meinen Schal, den ich noch hatte und ebenfalls nicht mehr brauche und Lobsang gibt mir seine Emailadresse: "If you come again to Paris, don't think of a Hotel, you can stay with me." So verabschieden wir uns also und ich begebe mich wieder zu Notre-Dame und erprobe wieder meine Seifenblasenkunst. Aber es ist windig, die Mischung ist schlecht, weil ich zum ersten Mal franz. Spuelmittel nehmen musste und keinen Tapetenkleister mehr habe, sowie sind in den Abendstunden wenig Touris vor Notre-Dame. Mehr oder weniger allein duempel ich vor mich hinein, geniesse mehr Paris bei Nacht als dass ich Seifenblasen entstehen lasse und werde dann aber von einer Gruppe deutscher Realschueler ueberrascht, die etwa in der 9.Klasse sind und eine Klassenfahrt nach Paris machen, im Rahmen des Franzoesischunterrichts. Es stellt sich heraus, dass es eine Schule in Hannover ist und ich mich wieder einmal frage, wie klein die Welt doch ist. Die begeisterten Lehrerinnen kommen zu mir, wollen mir im Crashkurs Franzoesisch beibringen (offensichtlich wird man seine Rolle als Lehrerin nie los; nicht mal in romantischen Parisabendstunden) und fragen sich dann, warum sie eigentlich Lehrerinnen geworden seien, wenn man auch von Seifenblasen leben koenne (was uebrigens nicht der Wahrheit entspricht...mein Erspartes leidet arg). Es stellt sich zu allem Ueberfluss noch heraus, dass eine der beiden Lehrerinnen in Grasdorf wohnt, am Hotel Haase, was - fuer alle Unkundigen - vielleicht 1Km von meinem Elternhaus entfernt ist. Am Ende drueckt sie mir 5 Euro in die Hand und meint dazu: "Laatzener muessen zusammenhalten." Danke schoen, seh ich genau so ;-)

Am Ende dieses ereignisreichen Tages kommen noch Ralf und sein Physik-Kollege Christian, schauen mir kurz zu, woraufhin ich einpacke und wir alle zusammen in nen Jazz-Club im lateinischen Viertel (echter Name: Quartier Latin) gehen und den Abend ausklingen lassen. Um Mitternacht fahren wir heim.

So, warum ich euch jetzt diese lange Geschichte geboten habe? Irgendwie hatte dieser Tag von fast allem, was ich in Paris ueber die zwei Wochen gemacht und erlebt habe, ein bisschen. Na gut, eine Sightseeing-Tour war auch noch dabei und auch Versailles...und ZDF-Kochsendungen schauen in der Bibliothek...und...und...und...

Ich sende euch jetzt ganz liebe Gruesse und, wenn alles klappt, melde ich mich in nicht allzu langer Zeit aus Spanien wieder.

Kommentare sind wie immer erwuenscht.

Meinen Grosseltern, die in vier Tagen "Eiserne Hochzeit" feiern, sende ich hiermit auch schonmal herzlichste Glueckwuensche und wuensche eine schoene Feier. Jemand, der mit ihnen Kontakt hat, moege ihnen diese Gruesse doch uebermitteln.

Und zum Schluss noch ein Zitat, das ich mochte. Auf der Stadtfuehrung in Paris erklaert unser Fuehrer, dass es beim Eiffelturm immer teurer wird je hoeher man moechte und meint dazu: "So it depends on your budget how high you get - just like in Amsterdam."

Und damit schliesse ich. Euer Flo