Dienstag, 8. April 2008

Von gelebten und zerplatzten Traeumen

Ich kann mir vorstellen, dass ihr sehnsuechtig auf weitere Berichterstattung von mir wartet. Euer Warten soll jetzt ein Ende haben. Die letzten Tage waren aufregend, frustrierend, impulsiv und immer wieder gespickt mit sehr gluecklichen Momenten. Ich will euch nicht allzu lange auf die Folter spannen, ich werde euch - ausschnittweise - berichten von den letzten fast zwei Wochen, in denen ich nicht dazu gekommen bin/keine Lust hatte, den Blog mit Buchstaben zu fuellen. Ich hoffe, zumindest die Fotos von letzter Woche haben euch ein wenig ueber diese sicherlich sehr schrecklichen Tage hinweggetroestet.
Der letzte Text-Eintrag stammt aus Rotterdam, das scheint fuer mich jetzt so weit zurueckzuliegen, als sei es eine separate Reise. Dies scheint wohl damit zusammen zu haengen, dass ich mich ueberhaupt nicht wie ein typisch Reisender fuehle. Ich hetze nicht umher, ich schaue mir nicht unbedingt die manchmal ach so daemlichen Sehenswuerdigkeiten an, sondern ich geniesse die Freiheit zu sein. Einfach nur zu sein. Never had this feeling.
An Rotterdam schlossen sich zwei wunderbare Tage in einer Emmaus-Lebensgemeinschaft an, die mir ein Zusammenleben mit ihnen in ihrer oder in einer weiteren Emmaus-Gemeinschaft im Sueden Hollands anboten. Ich lehnte dankend ab, hinweisend auf mein Gefuehl, ich muesste erst noch mehr sehen, mehr Inspiration bekommen, mehr Menschen kennen lernen, um daraufhin zu entscheiden, was das ist, was ich moechte. Die Menschen dort nahmen mich herzlich auf, wir assen, redeten und lachten zusammen, spielten mit der kleinen, die ihr auf dem Bild im vorigen Eintrag seht, fruehstueckten am naechsten Morgen gemuetlich zusammen. Weil ich durchgefroren, mit nassen Klamotten dort ankam und auch so losfahren wollte, gaben sie mir aus ihrem reichlichen Fundus einen endlich wunderbar warmen Fleece-Pulli und ein Kissen, das ich zwar mit Absicht zu Hause vergessen hatte, mir aber mittlerweile klar ist, dass ich ohne nicht leben bzw. schlafen kann.
Es folgten mehrere sehr ereignisreiche Tage in Antwerpen, wo ich vier Naechte verbracht hatte und dabei drei verschiedene Schlafplaetze: Eine Nacht im Zelt, die zweite Nacht bei einer Psychologie studierenden Studentin, die aus Geldmangel in einem Wohnwagen auf dem Campingplatz lebt und studiert und mir netterweise den halben Wohnwagen umbaute (Tisch zusammenklappen, Moebel verruecken etc.), damit ich dort Platz zum Schlafen hatte. Ihre gute Menschenkenntnis verriet ihr, dass ich vollkommen in Angst vor dem unheimlichen rechtsradikalen Schotten war, und ich deshalb nicht im Zelt schlafen koenne, zumal genau jener Schotte in der Nacht zuvor eine Stange meines Zeltes im betrunkenen Zustand ueber mein Zelt fallend zum Splittern gebracht hat.
Die dritte und vierte Nacht nahmen mich Dries&Roula auf, die im vorigen Beitrag netterweise ein Kommentar hinterlassen haben. Ironischerweise lernte ich Dries genau ueber jenen besoffenen Schotten kennen. Die ganze - verrueckte - Geschichte gibt es zu Hause, falls ich bis dahin nicht noch viel Verrueckteres erlebe.
Im Anschluss an Antwerpen folgten die bisher frustrierendsten Tage - verbracht in Bruessel. Zwischendurch aufgeheitert durch das erste Mal auf dieser Tour SEIFENBLASENMACHEN, war ich doch insgesamt deprimiert. Es ist vieles schief gelaufen, das Wetter tat immer wieder sein Uebriges. Am ersten Tag kam ich spaet an, suchte vergeblich nach einem vernuenftigen Schlafplatz und fand erst spaet eine Kommune, "La Poudriere", die mir fuer eine Nacht aufnahmen. Der zweite Tag, oder eher Vormittag, war nett, weil die Menschen sich auf und neben dem Grand Place in Bruessel, DEM Platz in Benelux schlechthin, an meinen Seifenblasen ergoetzten. Ich lernte ein nettes Maedel aus Passau kennen, dessen Namen ich leider nicht weiss (Falls du das hier liest, schreibe mir!). Wir verbrachten ein paar Stunden zusammen und inspirierten und faszinierten uns irgendwie gegenseitig, bis ihre in Bruessel studierende Freundin anrief und sie abkommandierte zur Besichtigung des EU-Parlamentes. Ich kritzelte ihr nur noch schnell meine Mailadresse auf die Tibet-Postkarte, schmiss sie ihr quasi hinterher, und hoffe darauf, dass sie sich irgendwann mal meldet. Ungluecklicherweise vergass ich in der Aufregung zu fragen, ob ich evtl. u. U. bei ihr bzw. ihrer Freundin pennen koennte. Diese Frage zu vergessen passiert mir fast nie. Das Unglueck nahm seinen Lauf. Ich suchte sehnsuechtig nach einer Unterkunft, zwei Typen auf nem Balkon, denen ich einen Ball mit Nachricht zuwarf, wollten mich nicht, da dies nicht ihr Apartment sei...also musste ich die letzte in Frage kommende Moeglichkeit in Angriff nehmen: Ich rackerte mich ab, 9 Km im HUEGELIGEN Bruessel zum Campingplatz zu fahren, um dann festzustellen, dass es viel sinnvoller gewesen waere, zum Campingplatz im Sueden zu fahren, weil der mehr auf meinem Weg zur Kueste lag. Ich baute also im stroemenden Regen gefrustet mein Zelt auf und fragte mich, was ich hier eigentlich tue. Da ich etwas ruckartig, weil so deprimiert, mein Zelt aufzubauen versuchte, brach mir dabei zu allem Ueberfluss auch noch die Stange am Kopfende. Splitterte. Versagte ihren Dienst. Gottseidank konnte ich mit viel Panzertape und einem Ersatzteil, das ich ganz zufaellig in einem Jack Wolfskin-Store in Antwerpen bekommen habe, die Stange reparieren, mein Zelt aufbauen und mich endlich dortrein legen.
So, werde jetzt nicht so weit ausschweifen, aber die naechsten zwei Tage sahen aehnlich aus. Versuchte auf den anderen Campingplatz im Sueden zu fahren, Regen, Regen, Regen, stellte fest, dass der nicht existiert. Dann also zur Jugendherberge in der Stadt, weil so dermassen gefrustet. Tja, es war Samstag, und die Jugendherberge vollkommen ausgebucht. Andere JH auch voll. Ich am Verzweifeln, triefnass. Dann die rettende Idee: Die Regenbogen-Kommune ist doch in der Naehe, oder? Hingefahren, wieder nett aufgenommen worden und verkoestigt. Zwischendurch immer wieder fast von Autos an- und umgefahren worden, weil Bruessel absolut nicht fahrradtauglich ist.
Am Sonntag dann entschied ich mich direkt nach Gent zu fahren, und Bruessel zu vergessen. Eins von Bruessel wird mir aber in Erinnerung bleiben: Die bescheuertste Sehenswuerdigkeit, die ich je gesehen habe. DAS Wahrzeichen Bruessels ist eine etwa 50cm grosse pissende Statue an einer unbedeutenden Haeuserecke stehend, genannt "MAENNEKEN-PIS". Die organisierten japanischen Bustouren fuehren natuerlich genau dahin. Damn shit!
So, die naechste Nacht verbrachte ich wieder nach einer Tortur, diesmal im Matsch, auf einem Campingplatz in Gent und frierte wie nie zuvor. Es muessen Minusgrade gewesen sein und ich lag splitterfaser***** in meinem Zelt, weil ich die Gelegenheit nutzte, endlich mal, zum ersten Mal, meine Klamotten - und zwar ALLE - in der Waschmaschine zu waschen und im Trockner zu trocknen.
Genervt von dieser Nacht entschied ich, in Bruegge, wo ich mich right now befinde, ein Hostel aufzusuchen, um wieder ein vernuenftiges trockenes Bett zu haben, gutes Fruehstueck und nette Leute um mich herum. Ich lernte natuerlich gestern Abend prompt zwei unheimlich nette Amerikanerinnen aus Cincinnati kennen, die mein 8er-Dorm mit mir bewohnen, verrueckt, rosa, und auf EURAIL-Tour sind. Sie, sowie der Kanadier aus Quebec, der auch mit im Zimmer ist, reisen morgen wieder ab. Genau das werde ich uebrigens auch tun .... und nun:
Ich habe mir die letzten Tage durch den Kopf gehen lassen, was ich noch sehen moechte und wohin es mich zieht. Aufgrund dieser Tatsache habe meine Route stark ueberarbeitet. Ich werde nicht nach Grossbritannien fahren. Obwohl ich so gern die Summerhill-Schule in England, sowie Matthew und andere Englaender, die ich bisher getroffen habe, besucht haette, traf ich die Entscheidung, direkt mich fuer einige Wochen, vermutlich Monate in Frankreich aufzuhalten, mich immer Richtung Sueden haltend. Ich werde ausserdem versuchen, in den naechsten Tagen in Frankreich in irgendeiner mittelgrossen Stadt einen Franzoesisch-Crashkurs zu finden, der mir das wichtigste Franzoesisch fuer die Reise beibringt. Ich denke an einen 1- bis 2-woechigen Intensivkurs. Ich tue dies, weil ich in den letzten Wochen ein immer groesser werdendes Beduerfnis verspuere, auf anderen Sprachen zu kommunzieren, also neue Sprachen zu lernen oder mein Englisch zu verbessern. Lerne sogar seit einer Woche wieder jeden Abend neue Englischvokabeln, die ich aus meinem Woerterbuch abschreibe. Ich habe das Gefuehl, dass wir Deutschen im Vergleich zu Belgiern oder Niederlaendern Sprachenwracks sind. Vorgenannte sprechen mindestens drei Sprachen - meist alle fast fliessend. Ich plaediere dafuer, in Dtld. ab jetzt keine englischen Filme mehr zu synchronisieren, damit - wie hier - die Leute die englische Sprache quasi nebenbei lernen.
Ich spreche hier fast nur noch Englisch und war sogar am Ueberlegen, ob ich ab jetzt auch nur noch englische Eintraege auf dem Blog hinterlasse, aber die meisten von euch schaetzen doch die deutsche Sprache mehr - oder zumindest verstehen sie besser :)
So also mein Plan fuer die naechsten Wochen. Wie genau ich Frankreich durchreise, steht noch in den Sternen. Ich werde in Bibliotheken Atlanten und Fahrradkarten waelzen und mir auch vernuenftige Karten zulegen, um daraufhin zu entscheiden, was die beste Route ist.
Heute habe ich mir die mittelalterliche Stadt Bruegge angeschaut und fuer schoen befunden. Heute Abend wird wohl noch ein bisschen mit den Ammis geschnackt und dann gehts morgen frueh Richtung Frankreich. Gehe davon aus, dass ich die Grenze morgen ueberfahren werde und damit in mein drittes Reiseland komme.

Sooo, ihr koennt euch vorstellen, dass ich nicht ganz alle Erlebnisse habe notieren koennen und wollen, ich hoffe, das reicht, damit ihr euch ein Bild machen koennt.

Liebe Gruesse, Flo

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Grandios viele Eindrücke und Erlebnisse hab ich von Dir gewonnen. Völlig faszinierend muss ich sagen ! Haut mich irgendwie um...

Viel Spass weiterhin und bleib gesund ! ! !

Anonym hat gesagt…

Hey Phlow!
Wie gern würde ich jetzt mit dir durch die Gegend radeln (sobald denn das wetter nicht so ganz pissig ist;) )
nein ich finds super dass du deine tour durchziehst auch wenn das wetter so beschissen ist. inzwischen darf ich hier zu hause hocken und mich ärgern dass ich mich quasi komplett null auf die morgige geschichts-klausur vorbereitet hab. supi! nun denn, werd schon sehen was ich davon hab!
Also denn, liebste grüße...sonja

Anonym hat gesagt…

Hey Florian,

es ist sicher eine ganz gute Idee, lieber nicht nach England zu fahren und stattdessen Richtung Süden. Nein, wie beständig schlecht auch wirklich das Wetter ist, es ist kaum zu glauben. Es wirkt auch nicht so, als würde das irgendwann nochmal besser ... In Südfrankreich vielleicht, und da solltest Du dann schleunigst versuchen hinzukommen.

Wir fahren jetzt erstmal ein paar Tage nach Berlin und Halle, auch im kalten Regen (aber im warmen Auto).

Wir denken an Dich, Florian! (Und pass bitte auf - Deine Beschreibung der Beinaheunfälle in Brüssel trägt nicht unbedingt zu unserer Beruhigung bei.)

Lots of love!
Deine Cousine mit Thomas

Anonym hat gesagt…

oh mann, flo,
dass du brüssel so schlecht erlebt hast, tut mir echt so leid! ich finde brüssel eine der geilsten städte überhaupt und war voll traurig, als ich da wieder weggefahren bin. komisch, dass du da niemanden gefunden hast, der dich aufnimmt. ich stimme allerding mit dir überein, dass brüssel tatsächlich die dämlichste sehenswürdigkeit hat. bei einer kirche oder einem turm kann man ja verstehen, dass sie berühmt geworden sind, aber bei einem pissenden kerl???? und dass man in brüssel so gut wie schwer gefährdet ist, wenn man dort fahrrad fährt, stimmt auch. wäre einmal fast angefahren worden und einmal hat mir an einer ampel son kerl erstmal eine wasserflasche übern kopf gegossen (er saß in dem auto das neben mir stand)...
dass du nicht nach großbritannien fährst wundert mich. ich dachte du bist so scharf auf diese schule?! hm, dafür wirst du sicher andere tolle dinge erleben!
das was du erzählst ist wirklich grandios. du fehlst mir sehr und ich gehe extra nicht zum klavierunterricht, damit ich nicht heulen muss wenn du nicht da bist (ok scherz, ich geh nicht hin, weil ich abistress hab).
lass dich drücken. ich wünsch dir, dass du heile weiterkommst und bald auch mal etwas von der sonne siehst. pass auf dich auf!
umarmung,deine Miri

Anonym hat gesagt…

Hallo Flo!

Welch ein Glücksfall, dieses doofe Buchstabenbild hat sich mir doch tatsächlich gezeigt und ich darf - oh Wunder! - mal etwas posten! Sonst versteckt sich dieses Biest immer vor mir...

Ich hoffe du hast eine geile Zeit und bereust deine Entscheidung, England ausfallen zu lassen, nicht schon. Bestimmt wird das Wetter aber im Süden besser ;)

Ich hoffe nur, dass du Taizé nicht aus deiner Planung streichst. Auch wenn die Chancen nicht riesig sind, dass wir uns dort sehen, wäre es dennoch geil!
Solltest du zwischen Anfang/Mitte Juni und Ende Juli dort in Frankreich herumpedalen, besteht zumindest theoretisch die Chance, dass wir uns dort über den Weg laufen. Früher und später sind bei mir ausgeschlossen.

Reise noch schön durch die Weltgeschichte, ich freu mich auf den nächsten Blog-Eintrag!

Liebe Grüße,
Max

Anonym hat gesagt…

hihi, dumdidum. meine schriftlichen sind vorbei und ich lass es mir jetzt erstmal so richtig gut gehen!!! deutsch war ok, englisch war dämlich, geschichte war glaube ich gut und mathe heute war echt der hammer! die aufgaben waren so geil, so einfach, dass ich echt ein richtig, richtig gutes gefühl habe.
lass dich ganz doll drücken und nicht vom scheißwetter unterkriegen.
die Miri