Mittwoch, 16. April 2008

Paurise

Gerade in einer riesigen neumodernen Bibliothek sitzend, das kostenlose Internet geniessend und die franzoesische Tastatur hassend, befinde ich mich etwas noerdlich einer kleineren, aber dafuer umso beruehmteren Kirche Frankreichs: Die Kathedrale von Notre-Dame.

Und damit ein herzliches "Bonjour" aus Paris, der Mitte Frankreichs und vielleicht Europas. Meinen ersten Eintrag aus meinem dritten Reiseland, das fuer eine lange Zeit dasselbige bleiben wird, widme ich meinen geschundenen Oberschenkeln, meiner vom Wind zerissenen Gesichtshaut und auch meinen Hinterradbremsen, die ungluecklicherweise voruebergehend deaktiviert werden mussten.

Nach dem bisher fuer mich strapazioeseten Abschnitt meiner Tour, der Etappe von der Kueste ins Landesinnere nach Paris, immer versuchend dem Sued(west)wind auszuweichen, aber daran scheiternd, bin ich schlussendlich unter Zuhilfenahme meines ersten Zuges seit Amsterdam in Paris, Gare du Nord, gluecklich vor mittlerweile drei Tagen angekommen.

Mein Tacho zeigt 1200 Kilometer, meine Beine schreien mehr. Nachdem ich in Bruegge gestartet bin, einen herrlichen Mittagsraviolibrunch mit Huriel aus Quebec-City in Oostende am Strand genossen habe und dann weiter der Kueste entlang nach Dunkerque, meiner ersten groesseren franzoesischen Stadt angekommen bin, habe ich mir immer wieder vorgenommen, eine Pause einzulegen. Erst 6 Tage spaeter, an denen ich durchschnittlich 80 Kilometer im Gegenwind gefahren bin, bzw. sicherlich ein Viertel der Strecke mein Fahrrad geschoben habe, entschied ich mich voellig entkraeftet in Beauvais, etwa 80 Kilometer noerdl. von Paris, den Zug zu nehmen. Dieser Vorabend, an dem ich in Beauvais eingerollt bin, war ein fuer mich ganz schrecklicher; mich fragend, ob nach Hause fliegen oder sterben die bessere Alternative waere, fuehlte ich mich durch eine Kette ungluecklicher Ereignisse ganz allein und verlassen, ein Kloss im Hals verwehrte mir das Sprechen, das leere Gefuehl im Magen konnte auch durch drei Cheeseburger nicht bereinigt werden. Der Campingplatz in Beauvais, der einen Anker fuer mich darstellte, eine Rettung, war geschlossen, wie ich deprimiert nach weiteren Kilometern bergauf feststellen musste. Wildcampen kam nicht in Frage, da ich unbedingt unter Menschen sein musste, um nicht an den quaelenden Gefuehl allein zu sein zu Grunde zu gehen. Also nahm ich meine letzte Kraft zusammen, strampelte zum Bahnhof, ass genuesslich meine letzte Prinzenrolle und trudelte eineinhalb Stunden spaeter in Paris ein, wo ich zum naechstgelegenen Hostel namens "Woodstock" schob, in meinem Zimmer einen Schweden kennen lernte, dem ich erstmal alles erzaehlt habe. Es musste raus, er hoerte zu, wir verstanden uns gut. Er machte mich darauf aufmerksam, dass ich total rot im Gesicht sei und erst da fiel mir auf, dass ich sowohl im Gesicht als auch auf den Handruecken einen waschechten Sonnenbrand hatte. Nach Versorgung des Brandes und einer grossen Portion Nudeln fiel ich todmuede ins Hostel-Bett. Ich war in den vorherigen Tagen immer so muede, dass ich nicht einmal tagsueber ein Buch lesen konnte. Der Sinn der Worte und Saetze blieb unverstaendlich.

Und nun aber ein ganz grosser Cut: Nach mittlerweile drei Naechten in Paris, viel viel zu essen und jeden Tag nur etwa 20Km innerstaedtisch radeln, fuehle ich mich wieder fast vollstaendig rehabilitiert. Mir geht es ganz unheimlich gut und das liegt daran, dass mir das groesste Glueck zuteil wurde, das ich mir haette vorstellen koennen:

Vorgestern Abend war ich auf Geheiss einer Australierin, die ich im Hostel kennen gelernt hatte, zu einer traumhaften Veranstaltung im tollsten Buchladen, den ich je gesehen habe. Am suedlichen Seine-Ufer, schraeg gegenueber von Notre Dame, ist er zu finden, der englische Buchladen "Shakespeare & Company". In einem vielleicht 15qm-Raum mit vielleicht 40 Zuschauern wurden Poems rezitiert, eigene zum Besten gegeben und Musik gemacht.
Nicht nur diese Veranstaltung, auch der Buchladen an sich ist herausragend: klein, enge Gaenge, antikes Flair, unten Verkauf, oben urgemuetliche Buecherei - und das beste: Im Obergeschoss stehen zwischen all den Buechern Betten und liegen Matratzen. Und fuer wen? Jeder, der taeglich 2 Stunden in dem Buchladen aushilft, kann voellig unbuerokratisch diese Betten benutzen und in diesem Buchladen naechtigen. Ich dachte also, ich haette meine Bleibe fuer die naechsten Tage gefunden, aber es kam anders:
In dieser Wohnzimmer-Atmosphaere des Buchladens lernte ich Ralf kennen, einen deutschen Physik-Doktoranden, der vor kurzem aus seiner Studentenbude in eine eigene Wohnung gezogen ist; und nun koennt ihr euch vorstellen, was kommt. Fuer diejenigen, die es nicht koennen: Die Bude steht also leer und er ueberlaesst mir for free diesen Raum, fuer unbestimmte Zeit. Ich wohne also jetzt suedl. von Paris in Orsay, in 40 Minuten per RER erreichbar, fuer umsonst, habe Bett, Waschbecken im Zimmer, sowie Kueche, Dusche und Klos auf dem Gang. Es ist einfach genial, es koennte einfach nicht besser sein. Genau aufgrunddessen werde ich mich morgen intensiv um einen Franzoesischkurs kuemmern, aber - abgesehen davon, ob ich einen finde oder nicht - werde ich fuer einige Tage oder wenige Wochen in Paris bleiben und den Flair dieser Stadt geniessen. Paris by night habe ich bisher einmal gesehen, aber das reicht nicht. Wow!!
Um das grosse Glueck perfekt zu machen, bin ich heute mit 7 Litern Seifenlauge in brechendvoller RER in die Stadt gefahren und habe zum zweiten Mal auf dieser Tour sehr erfolgreich Seifenblasen gemacht. 2 Stunden vor Notre Dame haben mir 35 Euro eingebracht und habe viele viele glueckliche Kinder- und Fotografengesichter gesehen, die sich beide gleichermassen ueber die Seifenblasen freuen, wenn auch vielleicht aus unterschiedlichen Motiven... (mh, jemand das Wortspiel verstanden?). Es sind dabei auch ein paar tolle Fotos mit meiner Cam entstanden, die ich hier aber nicht hochladen kann. Vielleicht beim naechsten Mal.
So, morgen werde ich wohl eine "alternative" Stadtfuehrung mitmachen, von angeblich sehr enthusiastischen Studenten geleitet. Ich bin gespannt; der Louvre steht Freitagabend auf dem Programm, weil da immer kostenloser Eintritt. Und den Eiffelturm werde ich wohl auch noch besteigen; bin zwar schon einige Male daran vorbeikommen, aber konnte nur ueber die Tourimassen laecheln und bin weitergeduest. Wenn jetzt schon solch lange Schlangen am Eiffelturm warten, wie sieht das in der Tourihochsaison aus?
So, ich denke, ich werde mir jetzt noch intensiver diese grossartige Bibliothek anschauen und vielleicht ZDF schauen, was hier moeglich ist. Informationstechnisch liege ich wohl irgendwie im Rueckstand. Wie siehts denn momentan in Tibet aus?

So, jetzt noch kurz ein Wort zur Ueberschrift: Die ist mir gestern Abend eingefallen, als ich mein Bett genossen habe und von einer Afrikaraddurchquerung getraeumt habe.
"Paurise" ist auf irgendeine verrueckte Art und Weise zusammengesetzt aus "Paris" und "Pause", die ich mir wie oben beschrieben verdient habe.
Ein seifiger Gruss aus Paris, euer Flo

P.S. Mir faellt auf, dass ich kaum etwas zu meinen Unterkuenften der letzten Woche geschrieben habe...da waere zum Beispiel der Kuenstler Kevin aus Bethune, der mit dem stinkenden Hund; oder Benoit, der in Muenchen lebende franzoesische Gartenbauer; oder ...

P.P.S. Den Reise-Spiegel, den der schottische Kollege mir geschenkt hat, habe ich weiterverschenkt...wofuer brauche ich nen Spiegel auf dieser Tour? Ich kann mich auch im Wasser spiegeln...

5 Kommentare:

HonoluluPhil hat gesagt…

Hey Kalka!!! Wie ich sehe scheint es dir ja richtig gut zu gehen....Freut mich echt für dich...:-) Bin echt erstaunt das du es schon nach Frankreich ohne größere probleme geschafft hast....RESPEKT!!!!
Achso, zu deinem P.P.S..... Spiegel = Spiegeln.....Oder haste Hefte mit???XD
Hau rein
Phili Pompösu

Anonym hat gesagt…

Hey how Flo!

Ich wollte dir schon längts ne Mail schreiben. Ich werd es auch die nächsten Tage machen.

Deine Erlebnisse, die du erfährst, sind ja gar nicht als Leser zu verkrafen.
Das muss ja echt nen wahnsinns Trip sein. So viel Strapatzen, Erfolgserlebnisse, neue Menschen, der Kampf mit sich selbst...
Weiterhin alles Gute und Liebe !
Bin gespannt, was du noch so Erlebst - das war das Warm-Up des großen ganzen ! ! !

Gruß, Dome R.

Anonym hat gesagt…

Hey Flo!
Freut mich zu lesen, dass es dir gut geht und dein Seifenblasenplan aufgeht...
Großen Respekt, wie du deine Reise bisher trotz aller Probleme meisterst, aber nix anderes hätte ich von dir erwartet!
Also rock on und berichte weiterhin von deinen spannenden und aberwitzigen Erlebnissen...Auch wenn ich dann immer merke, wie furchtbar langweilig mein Leben doch ist, rettet es mir ab und an den Tag...
PS: du hast den Spiegel verschenkt, das hätte ich von dir Beauty-Queen ja gar nicht erwartet (Achtung: Ironie), naja, wenigstens hast du jetzt ein Kissen ;)
Gaaaanz liebe grüße aus deiner Heimat-City
Julia

Anonym hat gesagt…

hi flo,
well, i didn't know your name was flo until i finally got to your blog, as for me, until today, your were some random german guy on his way to marrakech, desperately looking for someone to fix his bike.
I hope you got it fixed alright (and the people at the shop could understand you), and you could start your journey again. If i remember well, you should be in blois, or on your way to blois, now. Nice castle down there, hope you'll like the countryside too, and you don't die from the fast-changing weather, it seems to always be whether apocalyptically warm, or wet and windy.
Anyway, flo (my name is loic by the way), i won't fool you or myself, i'm most certainly not gonna see you again, but i wanted to say i was happy to help you, and i hope you'll find other people on your way down europe, who will make your trip a rich and unforgettable experience, cos that's what matters isn't it, not the destination, but the road itself...

I wish you all the best,
loic

ps: my email is banjo_warrior@hotmail.com

Anonym hat gesagt…

Hallo!!! Hört sich alles wunderbarst an und sowieso so, als hättest du eine schöne Zeit. Stell dir vor, ich bin in Köln angenommen worden!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Ich bin in Paris vom 23-28 Mai und habe dann Zeit bis zum Hurricane 22. Juni (ich muss Radiohead sehen). Da ich schon wieder deine Mailadresse nciht habe, schreib ich dir das alles hier. Und du darfst dir einen Plan überlegen. Würd gerne mitkommen. Habe kein Fahrrad. Antworten kannst du über meine livejournal adresse..... Gruß, Lara